Städelmuseum GFZ

Der Himmel über dem Hafen

Zur Meteorologie in Ludolf Backhuysen "Am Hafen von Amsterdam", 1700, 86x103 cm, Ö/L/Holz, Städel Museum, Frankfurt/M.

Franz Ossing, GFZ

Diese wohl phantastische Ansicht des Hafens von Amsterdam zeigt mit Blick in nördliche Richtung einen Teil des Hafenbeckens, am Horizont ist das Nordufer des Ij zu sehen. Wie die Fahnen an den Schiffsmasten zeigen, weht der Wind von links, also aus westlicher Richtung. Der Wind ist mäßig stark, wie sich aus den geblähten Segeln (links am Bildrand) und dem Flattern der Fahnen ablesen lässt.


Abb. 1: L. Backhuysen "Am Hafen von Amsterdam", 1700, 86x103 cm, Ö/L/Holz, Städel Museum, Frankfurt/M.

Am Himmel findet sich Bewölkung in allen drei Etagen. Das rechte Bilddrittel wird durch starke Haufen- (Cumulus-) Wolken dominiert, ebenso sind Cumuli in der Nähe der Bildmitte zu sehen. Am Horizont ziehen ebenfalls hochgetürmte Wolken vorbei.

Den Himmelseindruck dominiert ein dunkles Wolkenband, das sich horizontal quer über zwei Drittel des Bildes erstreckt. Dieses dunkle Wolkenband hat genau im Schnittpunkt der Haupt- und Nebendiagonalen eine deutliche vertikale Quellform. Direkt darüber erstreckt sich ein nahezu strichförmiger horizontaler Wolkenstreifen, der im oberen, rechten Bildteil eine Entsprechung findet. Der Großteil des Gemäldehimmels wird durch einen blassblauen Himmel eingenommen.

Wie fast alle holländischen Landschaftgemälde des 17. Jahrhunderts, so weist auch dieses Gemälde Backhuysens einen realistisch anmutenden Himmel auf, der einer typischen Wettersituation unserer Breiten entspricht.

Die Wolken im Gemälde

Die Wolken im Gemälde lassen sich recht genau bestimmen: die bereits erwähnten aufgetürmten Cumuluswolken lassen sich gemäß der Nomenklatur der World Meteorological Organization (WMO) als Cumulus congestus einstufen, die hier bis in das mittlere Atmosphärenniveau reichen. Das dunkle Wolkenband kann als Stratocumulus identifiziert werden, der aufgrund der instabilen Atmosphärenschichtung deutliche Quellformen an der Oberseite aufweist. Auf gleicher Höhe findet sich links hinter dieser Wolkenmasse eine gleichartige zweite Wolke. Diese beiden Wolkenarten gehören zu den tiefen Wolken. Mittelhohe Wolken finden sich an mindestens zwei Stellen im Gemälde: das schmale horizontale Band ist Altocumulus, ebenso die weiter vorn liegenden schmalen Wolkenflecken rechts oben im Bild. Hohe Bewölkung in Form einer aus Eis bestehenden Schleierwolke (Cirrostratus) färbt den Himmel blassblau ein.

Wie entsteht ein solches Himmelsbild? Cumuluswolken sind Ergebnis des Ausgleichs vertikaler Instabilität in der Atmosphäre. Eine solche Instabilität führt zu Vertikaltransport von Luft (Konvektion), die beim Aufsteigen kondensiert und Cumuluswolken bildet. Diese sind häufig die Ursache für Regenschauer, wie sie sich im Gemälde andeuten. Sind diese Prozesse stark genug, erzeugen sie in der bodennahen Luftschicht häufig eine sekundäre Durchmischung durch Turbulenz, die in der labil geschichteten Luft erneut zu flacher Wolkenbildung führt. Ist die Luft feucht und energiegeladen genug, so entstehen durch die Kondensationsprozesse in diesen flachen Begleitwolken an deren Oberseite Quellformen (wie im Gemälde im Schnittpunkt von Haupt- und Nebendiagonale).

Eine solche, instabil geschichtete Atmosphäre sollte eigentlich keine horizontal geschichteten Wolken erlauben. Dennoch sehen wir im Gemälde im mittelhohen Niveau horizontal ausgebreitete Altocumuli (volkstümlich auch Schäfchenwolken genannt). Die hochreichende Quellbewölkung im Gemälde reicht bis über diese Schicht. Hinzu kommt im obersten Stockwerk der hohen Wolken eine ausgedehnte Schicht von Schleierwolken (Cirrostratus).

Ein solches Zusammentreffen von konvektiven Wolken und Schichtwolken ist jedoch in der Atmosphäre nicht selten, sondern entspricht durchaus den in den gemäßigten Breiten auftretenden Wetterlagen.

Die Wetterlage im Gemälde

Das Wetter der gemäßigten Breiten ist geprägt durch ein stetes Wechselspiel von Hoch- und Tiefdruckgebieten. Hochdruckgebiete erzeugen absinkende Luftbewegung, dadurch wird die Atmosphäre stabil und Wolken lösen sich auf. Tiefdruckgebiete hingegen erzeugen ein Aufsteigen der Luftmassen, sie führen Wolken mit sich.

Die klassische Modellvorstellung eines Tiefdruckgebietes ist, dass zunächst warme Luft herantransportiert wird, die stabil geschichtet ist. Die Wolken werden beim Heranziehen der Warmfront zunehmend dichter: zunächst tauchen einzelne hochfliegende Federwolken auf, die in hohe Schleierwolken aus Eis (Cirrostratus) übergehen. Der Cirrostratus verdichtet sich zu mittelhohem Altostratus, dieser wiederum zu tief liegendem Nirnbostratus mit einsetzendem dauerhaften Landregen. Alle diese Wolken sind horizontal (stratiform) geschichtet. Mit dem Eintreffen der Warmfront hört der Regen auf, man befindet sich im sog. Warmsektor. Von Westen her nähert sich dann die Kaltfront, die kühlere Luft mit sich bringt. Die damit einhergehende Labilisierung erzeugt die oben erwähnten Konvektionsbewölkung (Haufen- und Schauerwolken oder gar Gewitter).

Da die Kaltfront schneller wandert als die Warmfront, weisen die gealterten Tiefdruckgebiete eine Frontenstruktur auf, die sich wie ein Reissverschluss vom Kern des Tiefs nach außen zuzieht. Diesen zugeschnürten Teil nennt man Okklusionsfront. Eine solche Okklusionsfront hat in Abhängigkeit von den Luftmassen, aus denen das Tief besteht, entweder eher den Charakter einer Kalt- oder einer Warmfront. In jedem Fall aber weisen diese Okklusionen Wolken konvektiven und stratiformen Charakters auf.

Das genau ist die Wettersituation in Backhuysens Bild. Die okkludierte Front ist bereits durchgezogen, man sieht im Gemälde konvektive Cumuli mit Schauern, zugleich stratiforme Wolken wie den Cirrostratus und die Altocumulischicht und im untersten Atmosphärenniveau Stratocumulus oder Stratus.


Abb. 2: Haufenwolken (Cu con ra), mittelhohe Schäfchenwolken (Ac str), Federwolken (Cs fib), 20.08.1981, 1740 MESZ, Terhorne/NL (Foto F. Ossing)

Das obige Foto (Abb. 2) zeigt eine solche Situation. Aufgenommen in Terhorne (Westfriesland, NL) am 20. August 1981 um 17:40 Uhr, sieht man am oberen Bildrand die horizontal geschichtete Altocumulusdecke. In der Wolkenlücke ist Cirrostratus zu entdecken, die Mitte des Fotos wird durch stark aufgetürmte Cumuli dominiert, vor denen ein schmales Band von niedrigen Stratus-Wolken mit leichter Quellform an der Oberseite schwebt. Der Blick im Foto zeigt nach Nordost, der Wind weht mäßig stark aus westnordwestlicher Richtung. Die dazu gehörige Wetterlage ist wie folgt: Eine kalte Okklusionsfront ist bereits durchgezogen und hat maritime Polarluft verdrängt. Die nachströmende maritime Arktikluft labilisiert die Luftmasse, es kommt zu Schauern. Diese Wetterlage hat etwas stärker ausgeprägte Temperaturgegensätze als die Situation im Gemälde von Backhuysen, ist aber ansonsten identisch.

Die beschriebene Wettersituation ist typisch für europäische gemäßigte Breiten. Der zugrunde liegende Prozess von vertikalen Transportprozessen und horizontal geschichteter Atmosphäre lässt sich aber auch in tropischen Breiten beobachten:


Abb. 3: Haufenwolken (Cu con), Schichthaufenwolken (Sc), Federwolken (Ci fib), 29.01.1996, 1340, NE, Ile aux Cerfs, Mauritius (Foto: F. Ossing)

Abb. 3 zeigt stark quellende Cumuli, die durch eine Schicht von Altocumuli hindurchwachsen. Die Altocumulusschicht in der Bildmitte liegt im gleichen Höhenniveau wie die Wolken am oberen Bildrand. In Backhuysens Gemälde entspricht das der horizontalen Altocumuluslage und denAltocumulusstückchen

Eine ausführliche Beschreibung des Gemäldes findet sich bei L. Krempel (2005).

Literatur:

Berliner Wetterkarte v.20.08.1981, ISSN 0177-3984, Berlin

Krempel, León, 2005, "Holländische Gemälde im Städel 1550-1800", Bd. 2, Imhof-Verlag,/Städelsches Kunstinstinstitut, Petersberg/Frankfurt a.M., hier: S. 22-28

WMO (World Meteorological Organization), 1987: "International Cloud Atlas", Vol. 11, WMO, Genf, 212 S.


Dem Städel Museum sei herzlich gedankt für freundliche Unterstützung und die Möglichkeit, das Gemälde Backhuysens hier reproduzieren zu können.
Prof. em. Dr. Günter Warnecke, FU Berlin, gebührt großer Dank für wertvolle Anmerkungen bei der meteorologischen Interpretation des Himmels.

Herrn Christian Drömer, Daten- und Rechenzentrum des Deutschen GeoForschungsZentrums GFZ, danke ich sehr für die Programmierung.

Quelle: http://bib.gfz-potsdam.de/pub/wegezurkunst/

Ein Beitrag zum "Jahr der Geisteswissenschaften 2007"