System Erde -
unser dynamischer Planet
  Prof. Dr. Dr. h.c. Rolf Emmermann


 


Abb. 1: Die großen Lithosphärenplatten und ihre Bewegungsrichtungen



Abb. 2: Verschiebungsvektoren der Lithosphärenplatten. Auf Grund der Plattenverschiebungen bewegt sich Potsdam jedes Jahr etwa 2,56 cm nach Nordosten. Die Nazca-Platte westlich von Südamerika driftet mit mehr als 10 cm/Jahr nach Osten und taucht unter der Südamerikanischen Platte ab.

In den vergangenen drei Jahrzehnten hat sich in den Geowissenschaften eine Revolution vollzogen, die man in ihrem Ausmaß vielleicht mit dem Übergang vom ptolomäischen zum kopernikanischen Weltsystem in der Physik vergleichen kann. Sie wurde ausgelöst durch die Bestätigung einer Theorie, die unter dem Namen “Plattentektonik” in die Literatur eingegangen ist. Diese Theorie besagt, dass die Rinde unseres festen Erdkörpers wie ein großes Mosaik aus einem runden Dutzend  von starren Platten, den sogenannten Lithosphärenplatten, besteht, die etwa 150 km dick sind und sich in ständiger Bewegung relativ  zueinander befinden, indem sie auf einer zähplastischen Unterlage gleiten.  

Während die Platten  (Abb. 1) selbst relativ stabil sind, markieren ihre Grenzen geodynamisch besonders mobile Bereiche unserer Erde, auf die sich viele geologische Prozesse konzentrieren. Je nach den Relativbewegungen der Platten zueinander kann man zwei Hauptarten von Plattengrenzen unterscheiden: divergente und konvergente Plattengrenzen. Divergente Plattengrenzen sind Nahtstellen der Erde, an denen Lithosphärenplatten auseinanderdriften. Konvergente Plattengrenzen sind der Bereich, in denen sich Lithosphärenplatten aufeinander zu bewegen und zusammenstoßen.

Die Geschwindigkeit, mit denen diese Bewegungsvorgänge ablaufen, betragen bis zu über 10 cm pro Jahr (Abb. 2). Sie können mit den  heutigen geodätischen Messmethoden nachgewiesen werden und in geologischen Zeiten, d.h. in Jahrmillionen, zu Horizontaltransporten von mehreren 1000 km führen.

 

Abb. 3: Erdbeben mit Magnitude >5. Über 95 % der Erdbeben treten an den Grenzen der Lithosphärenplatten auf. 

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Mechanische Spannungen entladen sich als Erdbeben

Infolge dieser Bewegungsvorgänge kommt es zur Dehnung auf der einen Seite einer Platte und zu Kompressionen auf der anderen. Beide Prozesse bewirken, dass sich in den entsprechenden Bereichen der Erde mechanische Spannungen akkumulieren, die sich immer wieder in Form von Erdbeben entladen.

Es ist deshalb mit diesem Modell leicht zu verstehen, dass Erdbeben nicht zufällig irgendwo stattfinden, sondern sich auf Erdbebengürtel konzentrieren, welche genau die Plattengrenzen nachzeichnen (Abb. 3). Schmal sind diese Erdbebengürtel immer im Bereich von divergierenden Plattengrenzen: hier finden die Erdbeben auf eng begrenztem Raum und meist nur in geringer Erdtiefe statt. Wesentlich breiter sind die Erdbebengürtel dagegen im Bereich von konvergenten Plattengrenzen. Hier zeigt die Analyse der Tiefenlager der Erdbebenherde, dass diese auf Flächen angeordnet sind, die mit unterschiedlich starken Neigungen in das Erdinnere eintauchen und sich bis in eine Tiefe von über 600 km verfolgen lassen.

 


Abb. 4: Der heiße Erdkern besteht aus einem festen inneren  (Temperaturen über 4000 °C) und einem flüssigen äußeren Kern. Darüber wölbt sich der Erdmantel. Die Erdkruste mit einer durchschnittlichen Mächtigkeit von 40 km ist die dünne äußere Haut des Planeten und unser Lebensraum (Abb. nach GEO, Hamburg).

Materieumlagerungen auch im Erdinneren

Diese Beobachtung, die inzwischen an allen konvergenten Plattengrenzen der Erde bestätigt wurde, war der erste Hinweis dafür, dass die Bewegungen, die wir an der Erdoberfläche festellen können, offenbar nur einen Ausschnitt darstellen von komplexen Materieumlagerungsprozessen, die innerhalb unserer Erde stattfinden. Zusammen mit vielen weiteren Befunden hat sie zu der Theorie geführt, dass im äußeren Bereich unseres Erdkörpers großräumige Konvektionswalzen von einigen 100 bis über 1000 km Durchmesser existieren, in denen ständig Gesteinsmaterial – wie auf gewaltigen Fließbändern – umverlagert wird (Abb. 4).

Angetrieben werden diese Konvektionswalzen durch die hohen Temperaturen von über 4000 °C, die heute noch im Erdinnern herrschen, denn Konvektion stellt den effektivsten Mechanismus des Wärmetransports dar. Wir leben also auf einer dynamischen Erde, die, angetrieben durch Wärmeenergie aus dem Erdinnern, ihr Gesicht ständig verändert.




Erforschung der Ozeane verändert das Weltbild

 Obwohl der deutsche Meteorologe Alfred Wegener schon 1912 mit seiner berühmten Kontinentalverschiebungshypothese als erster auf die Möglichkeit großräumiger Horizontalbewegungen an der Erdoberfläche hingewiesen hat, ist dieses neue Modell der Plattentektonik nicht auf Grund der Erforschung der Kontinente entwickelt worden, sondern das Ergebnis einer intensiven Erkundung der Ozeane und ihres Untergrundes mit Hilfe von geophysikalischen Methoden durch Tiefseebohrungen.

 Diese marin-geowissenschaftliche Erforschung der Ozeane wird seit den 60er Jahren in verstärktem Maße und weltweit betrieben und hat mit dem Einsatz des Bohrschiffes “Glomar Challenger" einen ersten Höhepunkt erreicht. Dieses Schiff wurde 1968 für wissenschaftliche Tiefseebohrungen umgerüstet und im Rahmen des sog. “Deep Sea Drilling Project” zunächst  von den Amerikanern allein, seit 1974 dann von den USA gemeinsam mit internationalen Partnern, unter ihnen auch die Bundesrepublik Deutschland, zur Durchführung von Bohrungen in den Untergrund der Ozeane eingesetzt.

 Bevor sie 1985 durch das modernere Bohrschiff “Joides Resolution im Nachfolgeprojekt  “Ocean Drilling Program ODP” abgelöst wurde, hat die “Glomar Challenger” auf insgesamt 96 Bohrkampagnen  über 900 Bohrungen in allen Ozeanen und Nebenmeeren der Erde niedergebracht und neben vielen technischen Rekorden eine Fülle von neuen Erkenntnissen erzielt, die unser bisheriges geowissenschaftliches Weltbild von Grund auf verändert haben.


 
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Gebirgssysteme und Tiefseebecken

 Was wissen wir heute über den Untergrund der Ozeane und die Prozesse, die dort ablaufen? Es ist schon seit einigen Jahren  bekannt, dass die Ozeane nicht einfach tiefe, im Laufe von Jahrmillionen mit Verwitterungsschutt von den Kontinenten angefüllte Wannen darstellen – wie es auch Geologen lange Zeit geglaubt haben -, sondern morphologisch reich gegliedert sind und z.T. von vulkanischen Gesteinen unterlagert werden.

 Besonders markante Strukturen sind die sog. mittelozeanischen Rücken, Gebirge, die ihre Umgebung um über 2000 m überragen, gelegentlich bis über 1000 km breit sind und Teil eines weltweit verbundenen untermeerischen Gebirgssystems von rund 70 000 km Länge darstellen.

 Die größten Gebirge unserer Erde sehen wir also gar nicht, sie verlaufen am Boden unserer Ozeane. In ihrer Scheitelzone kommt der Meeresboden der Wasseroberfläche am nächsten – bis auf weniger als 2000 m – und  sinkt von hier aus symmetrisch nach beiden Seiten in die Tiefseebecken ab, in denen die durchschnittliche Wassertiefe 5500 m beträgt. Aus diesen Tiefseebecken steigt der Meeresboden dann sehr steil über den Kontinentalhang zum Kontinentalschelf auf. Dies gilt für alle Kontinentalränder, die innerhalb einer Lithosphärenplatte liegen. Fällt aber ein Kontinentrand mit einer konvergenten Plattengrenze zusammen, wie das für den Westrand Südamerikas der Fall ist, dann vertieft sich der Meeresboden zunächst noch einmal weiter zu einer schmalen Tiefseerinne, bevor er steil zum Kontinent aufsteigt.


Abb. 5: Schematischer Aufbau der  ozeanischen Erdkruste, die im Wesentlichen aus basaltischen Gesteinen besteht (Schicht 2 und 3). 

Tiefseegräben markieren Plattengrenzen

 Derartige Tiefseegräben sind die typischen morphologischen Kennzeichen konvergenter Plattengrenzen, sie markieren die tiefsten Stellen der Ozeane. Wären unsere Ozeane wasserfrei, könnten wir also die Plattengrenzen direkt beobachten: die divergenten Plattengrenzen liegen in den Scheitelzonen der mittelozeanischen Rücken – hier tritt der aufsteigende Ast einer Konvektionswalze an die Erdoberfläche, und demzufolge wird hier auch der höchste Wärmefluss gemessen; die konvergenten Plattengrenzen werden durch Tiefserinnen nachgezeichnet, an denen eine “Verschluckung” von Ozeanboden schon morphologisch sichtbar ist – hier werden die geringsten Wärmeflüsse an unserer Erdoberfläche registriert.

 Über den Aufbau des Untergrundes der Ozeane hatte man zunächst nur indirekte Informationen, die aus den verschiedenen Methoden der geophysikalischen Tiefenerkundung abgeleitet wurden. Von besonderer Bedeutung waren dabei die Ergebnisse der seismischen Erkundung mit Hilfe von künstlichen Sprengungen, die ein Bild von Struktur und physikalischen Eigenschaften des Meeresbodens vermitteln.

 Aus diesen Messungen, die inzwischen in allen Ozeangebieten der Erde durchgeführt wurden, ergibt sich, dass die ozeanische Erdkruste sehr einheitlich und einfach aufgebaut ist und im Prinzip aus drei horizontal aufeinanderliegenden Schichten besteht: Schicht 1 wird von Tiefseesedimenten gebildet; die darunter liegende Schicht 2, die 2 bis 3 km dick ist, besteht aus Basalten; und Schicht 3 – sie ist 4 bis 5 km dick – wird aus magmatischen Gesteinen der Gabbrofamilie aufgebaut (Abb. 5). Darunter folgt bereits der obere Erdmantel, der auch unter den Kontinenten  - hier allerdings in einer wesentlich größeren Tiefe – nachweisbar ist.




 

MAGNETISCHES STREIFENMUSTER AM OZEANBODEN

Ein überraschendes und zunächst nicht interpretierbares Ergebnis erbrachte die Vermessung der magnetischen Eigenschaften des Ozeanbodens, die seit Anfang der sechziger Jahre mit Hilfe von Magnetometern, die man hinter Forschungsschiffen herzog, systematisch durchgeführt wurde. Es zeigt sich dabei, dass der Ozeanboden offenbar ein magnetisches Streifenmuster besitzt: Gesteinsstreifen, die so magnetisiert sind, wie das heutige Erdmagnetfeld verläuft, wechseln ab mit Gesteinsstreifen, die genau entgegengesetzt magnetisiert sind, wobei die Streifen exakt parallel zu den Achsen der mittelozeanischen Rücken verlaufen.

 

“Seafloor Spreading”-Hypothese

Erst als aus magnetischen Untersuchungen von Lavaströmen an Land bewiesen werden konnte, dass das Magnetfeld unserer Erde in unregelmäßigen zeitlichen Abständen von einigen 100.000 Jahren immer wieder seinen Nord- und Südpol vertauscht, ergab sich für die Entstehung des magnetischen Streifenmusters der Ozeanböden eine Erklärungsmöglichkeit mit Hilfe einer Hypothese, die als “Seafloor Spreading” bezeichnet wurde. Diese Hypothese postulierte, dass in der Scheitelzone der mittelozeanischen Rücken aus basaltischen Schmelzen, die aus dem Erdmantel empordringen, ständig neuer Ozeanboden gebildet und wie auf einem großen Fließband zu beiden Seiten abtransportiert wird.

 Bei der Erstarrung dieser Schmelzen kristallisiert unter anderem das ferromagnetische Mineral Magnetit, das in der Lage ist, ein vorhandenes Magnetfeld zu speichern und vor allem auch die “Erinnerung” daran zu bewahren, selbst wenn sich das Magnetfeld der Erde umgekehrt hat.

 Nach dieser Hypothese besitzt der Ozeanboden in den Scheitelzonen der mittelozeanischen Rücken sozusagen ein “Nullalter” und wird zu beiden Seiten systematisch älter, wobei die magnetischen Streifen jeweils ganz bestimmte magnetische Epochen der Erdgeschichte repräsentieren.


Abb. 5a: Schwarze Raucher (Black Smokers) sind Kamine, die sich an heissen Tiefseequellen bilden. Sie bestehen meist aus Metallsulfiden, -oxiden und -sulfaten und wachsen dort empor, wo an aktiven ozeanischen Rückensystemen die vulkanische Aktivität an die Oberfläche kommt. Kaltes Meerwasser dringt durch Spalten in der ozeanischen
Kruste kilometertief ins Erdinnere. Dabei erhitzt es sich, reagiert intensiv mit den Ozeanbodengesteinen und kehrt beladen mit vulkanischen Gasen, Schwefel und Metallen zurück nach oben an den Meeresboden, wo es mit bis zu 350 °C ausströmt. Wegen des hohen Druckes in 2000 und mehr Metern Meerestiefe kocht das Wasser nicht. Der "Rauch" besteht i.W. aus Metalloxidpartikeln, die sich bilden, wenn die heissen und sauren Fluide mit kaltem basischem und vergleichsweise
sauerstoffreichem Meerwasser in Kontakt kommen. (Foto: J. Erzinger, GFZ Potsdam)



 

Ozeane: geologisch betrachtet jugendlich

Schon die ersten Bohrungen der “Glomar Challenger” haben bestätigt, dass diese, selbst von vielen Geologen als sehr phantastisch abgelehnte Hypothese, stimmt. Tatsächlich ist die ozeanische Erdkruste in den mittelozeanischen Rücken sehr jung und wird zu den Kontinenträndern immer älter. Die ältesten Gesteine, die bisher in den Ozeanen erbohrt wurden, haben ein Alter von 160 Mio. Jahren. Gemessen am Gesamtalter der Erde von etwa 4,6 Mrd. Jahren und dem Alter mancher Kontinentalgebiete von fast 4 Mrd. Jahren sind die Ozeane also geologisch außerordentlich jung und dokumentieren nur einen Bruchteil unserer Erdgeschichte.

Mit dieser Entdeckung wurde ein altes geologisches Dogma widerlegt, nämlich die Auffassung, dass die Ozeane unserer Erde uralt und die Kontinente allmählich zu ihrer heutigen Größe gewachsen sind. Es ist tatsächlich genau umgekehrt: die Kontinente unserer Erde sind uralt, und die heutigen Ozeane hat es in dieser Form noch nicht gegeben, als die Kontinentalmassen geologisch geformt wurden.

 

Basaltische Schmelzen aus dem Erdinneren

 Inzwischen besteht kein Zweifel mehr, dass die Scheitelzonen der mittelozeanischen Rücken, d.h. die Nahtstellen der auseinanderdriftenden Lithosphärenplatten, die Geburtsstätten ozeanischer Erdkruste sind. Hier reisst die Erde ständig auseinander, aus dem Erdinnern dringen aus den Fugen basaltische Schmelzen auf, die sich am Meeresboden zu Lavapaketen übereinanderstapeln.

 Die mineralogische und geochemische Untersuchung dieser basaltischen Laven erlaubt uns heute sehr detaillierte Rückschlüsse auf den Entstehungsort der Schmelzen, ihren Aufstieg zur Erdoberfläche und die dabei ablaufenden Prozesse sowie die Vorgänge, die nach der Erstarrung der Schmelzen im bereits verfestigten Gestein, z.B. bei der Wechselwirkung mit dem Meerwasser, stattgefunden haben. Aus den Ergebnissen können wir ableiten, dass die Schmelzen sich in Erdtiefen von etwa 20 bis 50 km von festem Gestein abtrennen, in Form von Magmaschüben aufsteigen, schmale, langgestreckte Magmenkammern auffüllen, die sich in geringer Tiefe (1 bis 2 km unter dem Meeresboden) befinden, dort zum Teil kristallisieren oder auf Rissen zum Meeresboden aufdringen.

 

Wasserzirkulations-System zur Gesteinsabkühlung

 Da die basaltischen Schmelzen Temperaturen von etwa 1150 °C aufweisen, ist die neugebildete ozeanische Erdkruste zunächst sehr warm und kühlt erst im Verlauf der Zeit ab. Sie wird dadurch schwerer und sinkt tiefer in ihre Unterlage ein. Dies ist auch der Grund dafür, weshalb sich der Meeresboden von der Achse der mittelozeanischen Rücken zu beiden Seiten symmetrisch vertieft.

 In den letzten Jahren ist in zunehmendem Maße deutlich geworden, dass das Meerwasser eine außerordentlich wichtige Rolle bei der Abkühlung der ozeanischen Erdkruste spielt. Wir wissen heute, dass Meerwasser auf breiter Front in die mechanisch stark aufgelockerte, heiße, neugebildete, basaltische Erdkruste eindringt und ein Wasserzirkulationssystem entwickelt, das für eine sehr wirksame Abkühlung der Gesteine sorgt.

 

“Vents” – Austrittskamine in der Erdkruste

 Meerwasserkonvektion in Dimensionen von einigen Kilometern auf beiden Seiten der Achsen der mittelozeanischen Rücken führt aber nicht nur zu einer raschen Auskühlung der Kruste, sondern vor allem auch zu sehr intensiven Stoffaustauschprozessen zwischen Wasser und Gestein. Dies ist in augenfälliger Weise deutlich geworden, als es 1978 gelang, erstmals die Austrittskamine (“Vents”) des aufgeheizten Wassers am Meeresboden zu finden.

 Inzwischen sind derartige Vent-Felder mit Tausenden von Austrittsstellen von den mittelozeanischen Rücken aller Ozeane der Erde bekannt. Die dort austretenden Lösungen haben Temperaturen bis zu 350 °C und einen Anteil an gelösten Komponenten bis zu 25 Gewichtsprozent, die im Kontakt mit dem kalten, “normalen” Meerwasser z.T. ausgefällt werden. Besonders spektakulär sind dabei Abscheidungen von Metall-Sulfiden, die sich rings um die Austrittskamine ablagern und mit den dort befindlichen Sedimenten einen Erzschlamm bilden (Abb. 5a).

 

Manganknollen bedecken den Meeresgrund

 Am Meeresboden werden demzufolge ständig neue Erzlagerstätten gebildet, insbesondere Eisen, Kupfer, Zink und Blei sind vom Meerwasser aus den Basalten gelaugt worden. Die Analyse dieser Vent-Lösungen zeigt aber, dass noch weitere Elemente, wie z.B. Mangan, Kobalt, Nickel, Bor und Lithium, in beträchtlichen Mengen aus den Basalten gelöst und an den Meeresboden transportiert werden. Diese Elemente werden mit dem Meerwasser verteilt und finden sich z.T. in den Manganknollen wieder, die an vielen Stellen der Ozeane den Meeresboden bedecken. Ihre Belegungsdichte beträgt lokal bis über 60 kg/m2, und allein im Pazifik wird nach den Prospektionskampagnen der letzten Jahre ihre Menge auf etwa 1012 t geschätzt.

 Die Manganknollen bestehen vorwiegend aus Eisen- und Mangan-Oxid-Hydroxiden mit beträchtlichen Gehalten an Nickel, Kobalt und Kupfer. Aus den vorliegenden Daten lässt sich berechnen, dass allein in den Manganknollen am Pazifikboden mehr Nickel und Kobalt fixiert ist als in allen Lagerstätten, die zur Zeit auf den Kontinenten abgebaut werden.

 Diese Zahlen unterstreichen auch die besondere wirtschaftliche Bedeutung, die den Meerwasser-Gesteins-Austauschprozessen im Bereich der mittelozeanischen Rücken zukommen kann. Wir beginnen erst jetzt zu verstehen, dass die Meerwasserchemie nicht so sehr durch die Zuflüsse von den Kontinenten, sondern vielmehr durch die Austauschprozesse mit der ozeanischen Erdkruste gesteuert wird, die die Zusammensetzung des Meerwassers “puffern”. 

Isotopenuntersuchungen an den Ozeanbodenbasalten erlauben die Modellannahme, dass das gesamte Wasser aller Ozeane alle 8 Mio. Jahre einmal durch die ozeanische Erdkruste zirkuliert. Die Bedeutung dieses Prozesses für das Verständnis der Chemie und Physik des Meerwassers ist gegenwärtig erst in groben Umrissen sichtbar und wird in den nächsten Jahren sicherlich noch detaillierter erforscht werden müssen.

 

ROHSTOFFVORKOMMEN AM MEERESGRUND

 Mit ihrem Abtransport von der Scheitelzone der mittelozeanischen Rücken wird die basaltische Ozeankruste allmählich mit Sedimenten zugedeckt. Diese Sedimentschicht fehlt auf der ganz jungen Basaltkruste noch weitgehend, erreicht in den Tiefseebecken eine Mächtigkeit von 300 bis 400 m und kann an den Kontinentalrändern auf über 5 km anwachsen.

 Gebildet werden diese Sedimente hauptsächlich aus dem feinsten Verwitterungsschutt (Tone) der Kontinente, der über die Flüsse in die Ozeane gelangt, und aus teilweise mächtigen Akkumulationen der Reste von kalkschaligen oder kieselschaligen Mikroorganismen. Aus der frühen Entwicklungsgeschichte der Ozeane sind aber auch Sedimente bekannt, die in späteren Entwicklungsstadien nicht mehr abgelagert wurden und z.T. eine ganz besondere wirtschaftliche Bedeutung besitzen.

 Aus den vielfältigen Forschungen der letzten Jahre wissen wir, dass die Bildung der Ozeane über ein Auseinanderbrechen von großen Kontinentalmassen erfolgt und zunächst mit der Anlage eines kontinentalen Grabensystems beginnt – vergleichbar mit dem heutigen ostafrikanischen Grabensystem -, das sich schließlich in mehreren Schritten über einen ozeanischen Graben bis hin zu einem  offenen Weltmeer entwickelt. Das Embryonalstadium der Ozeane ist häufig durch wiederholte Meeres-Transgressionen und -Abschnürungen gekennzeichnet, so dass es infolge von Eindunstung des Meerwassers zur Abscheidung von mächtigen Salzablagerungen kommen kann.

 

Schwarzschiefer und Salzablagerungen

 Derartige Salzablagerungen mit Mächtigkeiten bis über 300 m sind z.B. im Untergrund des heutigen Roten Meeres, einem embryonalen Ozean, weit verbreitet. Mächtige Salzablagerungen wurden aber auch in der Frühgeschichte des Atlantischen Ozeans gebildet und finden sich heute unter einer dicken Sedimentschicht an den Rändern aller an den Atlantik grenzenden Kontinente.

 In Verbindung mit einem weiteren Gesteinstyp, sog. Schwarzschiefer, können diese Salzvorkommen eine wichtige geologische Bedeutung erlangen. Als Schwarzschiefer bezeichnet man Tone, die sich durch einen hohen Gehalt  an organischen Kohlenstoff (bis über 15 Gewichtsprozent) auszeichnen. Derartige Schwarzschiefer finden sich vor allem unter den älteren Sedimenten der heutigen Ozeane und sind nur unter ganz bestimmten Bedingungen (sauerstoffarmes Wasser) und zu ganz bestimmten Zeiten gebildet worden. Ihre besondere ökonomische Bedeutung liegt darin, dass sie als Erdöl- und Erdgasmuttergesteine eine potentielle Quelle für Erdöl- und Erdgaslagerstätten darstellen.

 

“Fangstrukturen” für Erdöl und Erdgas

 Voraussetzung für die Entstehung von Erdöl- und Erdgasvorkommen ist,

 1)     dass diese Schwarzschiefer unter erhöhte Temperaturen und Drücke gelangen, wie es z.B. schon der Fall ist, wenn sie von Sedimenten überlagert werden, und

2)     dass das beim Reifungsprozess der organischen Substanzen sich entwickelnde Erdöl und Erdgas aus den Gesteinen migrieren und sich in “Fangstrukturen” sammeln kann.

 Solche Fangstrukturen – wir kennen sie aus den Erdöl- und Erdgasfeldern in Norddeutschland – bilden sich vorzugsweise in der unmittelbaren Umgebung von Salzstöcken, die sich durch plastisches Fließen des leichteren Salzes bei Auflage einer entsprechenden (schweren) Deckschicht gebildet und die benachbarten Sedimente randlich hochgeschleppt haben. Dadurch kann ein Aufwärtsmigrieren von Erdöl und Erdgas stattfinden und gegebenenfalls auch eine Akkumulation erfolgen, wenn derartige Strukturen nämlich von einer impermeablen Tonschicht abgedichtet werden.

Wir sind deshalb heute sicher, dass im Bereich von allen Kontinentalrändern, die nicht mit Plattengrenzen zusammenfallen, mit dem Vorkommen von Erdgas- und Erdöllagerstätten gerechnet werden kann, deren Erforschung und eventuelle Ausbeutung noch der Zukunft vorbehalten ist.



Abb. 6: Schnitt durch eine Subduktionszone. Ozeanische Kruste, die schwerer ist als kontinentale Kruste, wird bei der Kollision mit einem Kontinent subduziert. Das Gestein des Ozeanbodens schmilzt aufgrund seiner Wassersättigung und bildet zum einen Magma, das z. B. in Vulkanen aufsteigt. Zum anderen entstehen Fluide, die zur Bildung großer Lagestätten beitragen. Dieser Prozess führt z. B. zur Auffaltung der Anden und zur Bildung von Vulkanen mitten in diesem Gebirge (Abb. nach USGS) 

 

Recycling durch Subduktionsvorgänge

  Grundsätzlich anders sieht die Situation im Bereich von Kontinentalrändern aus, die mit einer konvergenten Plattengrenze zusammenfallen (Abb. 6). Da sie in einer geodynamisch besonders mobilen Zone unserer Erde liegen, werden sie als aktive Kontinentalränder bezeichnet – im Gegensatz zu den passiven Kontinentalrändern, die innerhalb von stabilen Platten gelegen sind.

Ein Beispiel für einen aktiven Kontinentalrand, an dem gleichzeitig alle für konvergente Plattengrenzen typischen Phänomene und Prozesse studiert werden können, stellt der Westrand Südamerikas dar. Dass hier ganz enorme Kompressionkräfte wirken, ist geologisch schon daraus abzulesen, dass sich durch den Zusammenschub der südamerikanischen Platte und der Nazca-Platte des Pazifischen Ozeans im Verlauf der jüngeren Erdgeschichte ein hohes Faltengebirge aufgetürmt hat, die Anden, welches die Kollisionszone markiert.

 

Kollisionsorogene

 Derartige Faltengebirge - sie werden in der Geologie Kollisionsorogene genannt -  sind auf der Erde überall dort verbreitet, wo in jüngerer Zeit Platten zusammengestoßen sind. Zu ihnen gehören beispielsweise die Alpen – gebildet durch den Zusammenstoß der europäischen und der afrikanischen Platte -, der Kaukasus, die Iraniden und die Kette des Himalaya. Dort, wo heute Kontinent an Kontinent stößt, wie im Himalaya, ist im Verlauf der Erdgeschichte ein ehemaliger Ozean “verschluckt” worden. Dieses Verschlucken von Ozeanboden, ja einer gesamten ozeanischen Lithosphärenplatte, geschieht heute aktiv am Westrand Südamerikas  (Abb. 7).



Abb. 7: Der Blick in die Subduktionszone unter den zentralen Anden, hier dargestellt auf der Basis von Messdaten der hochauflösenden Seismologie. Die abtauchende ozeanische Kruste lässt sich seismologisch deutlich durch die Erdbeben (blaue Punkte) verfolgen. Fluide und geschmolzenes Gestein liegen oberhalb dieser Zone.


 

Schneeschieber-Effekte an Sedimenten

 Morphologisches Kennzeichen für diesen Subduktionsvorgang ist eine schmale, zur Küste parallel verlaufende Tiefseerinne, der Chile-Peru-Graben, mit Meerestiefen von 6000 m. Seismische Aufnahmen der Geophysik zeigen, dass hier am Meeresboden die Tiefsee-Sedimente gestaucht und verformt und teilweise sogar am Rand des Kontinentes abgeschabt werden. Dieser “Schneeschieber-Effekt” ist inzwischen durch Tiefseebohrung auf Traversen quer zu derartigen Tiefseegräben bestätigt worden: Beim Eintauchen der ozeanischen Erdkruste in das Erdinnere werden die auf den Basalten liegenden Sedimente z.T. am Kontinentrand abgestreift, wobei jeweils jüngere unter ältere Sedimente geschoben werden. Die Erbohrung von Sedimentgesteinsfolgen mit einem inversen Alter war deshalb der direkte Beweis für die Existenz von Verschluckungsprozessen.

 Diese Bohrungen haben sich durch ein “Verschmieren” der Bohrlöcher und das Auftreten von enormen Porenwasserüberdrücken als außerordentlich schwierig erwiesen, ein zusätzlicher Beweis für die großen Kompressionskräfte am Meeresboden, die eine starke mechanische Kompaktion der lockeren, wasserreichen Sedimente bewirken.




 

Bewegung am Westrand Südamerikas ... 

Ein weiterer, überzeugender Beweis dafür, dass in unserer Erde in großem Maßstab ein Recycling des Meeresbodens stattfindet, kommt aus der Petrologie. Wenn die Modellvorstellung zutrifft, dass beispielsweise am Westrand Südamerikas eine ozeanische Lithophärenplatte in das Erdinnere zurückverfrachtet wird, dann muss dies bedeuten, dass aus dieser Platte bei ihrem Versenken in größere Tiefen, d.h. in Bereiche höherer Temperaturen und Drücke, gewaltige Mengen an Wasser freigesetzt werden, die in die darüber liegende kontinentale Lithophärenplatte migrieren.

 Die Zufuhr von Wasser in bereits warme, aber noch feste Gesteine bewirkt eine drastische Herabsetzung von deren Schmelztemperatur, so dass ein derartiger Prozess zwangsläufig zur Entstehung von großen Mengen wasserreicher Schmelzen führen muss. Die Schmelzen steigen auf Grund ihrer geringen Dichte und angetrieben durch den hohen Wassergehalt (Gasgehalt) bis zur Erdoberfläche auf und werden dort überwiegend explosiv gefördert (vgl.  (Abb. 7).

 ... begründen den andesitischen Vulkanismus

 Die Hunderte von Vulkanen, die der Gebirgskette der Anden aufgesetzt sind, stellen einen augenfälligen Beweis dafür dar, dass diese petrologischen Überlegungen zutreffen. Tatsächlich finden wir diesen Vulkanismus – er wird nach den Anden auch als andesitischer Vulkanismus bezeichnet – in weiter Verbreitung überall auf der Erde, wo nach der Vorstellung der Plattentektonik Subduktionsvorgänge stattfinden. Beispiele hierfür sind der Fujiyama in Japan, der Elbrus auf dem Kaukasus oder der Mount St. Helens in den USA.


Abb. 8: Die Karte zeigt den Zusammenhang zwischen den Grenzen der Lithosphärenplatten, den globalen Erdbebenzonen sowie der Lagerstättenbildung, die sich an den aktiven Plattenrändern konzentrieren. Beispiel: Die größte Kupferlagerstätte der Welt (Chuquicamata) befindet sich in den Anden.

 

Geodynamische Prozesse und Rohstoffvorkommen

 Man kann diese theoretischen Betrachtungen aber noch weiter führen. Wenn unter Südamerika Pazifikboden verschwindet, dann werden auch die weit verbreiteten Sulfiderz-Vorkommen des Ozeanbodens mit in die Tiefe verfrachtet. Das bei der Entwässerung der ozeanischen Kruste freigesetzte Wasser sollte deshalb wiederum intensiv mit diesen Erzen reagieren und die Metalle in der gleichen Weise laugen und aufwärts transportieren, wie dies an den mittelozeanischen Rücken geschieht. Dass solche Prozesse tatsächlich in großem Maßstab ablaufen und wie wirksam dieser Mechanismus des Recyclings von Lagerstätten ist, lässt sich gerade am Beispiel Südamerikas besonders überzeugend demonstrieren.

 Die großen Kupfer-Vorkommen Chiles und Perus, die Zinn-Lagerstätten Mexikos verdanken ihre Entstehung wahrscheinlich alle diesem Prozess. Tatsächlich wird der Westrand Südamerikas von einem Lagerstättengürtel nachgezeichnet, der die größten Kupferreserven unserer Erde enthält.

 Die enorme ökonomische Konsequenz dieser, aus der reinen Grundlagenforschung abgeleiteten, Modellvorstellung ist in den letzten Jahren deutlich geworden. Wir beginnen heute erst zu verstehen, dass geodynamische Prozesse und die Bildung von Rohstoff-Vorkommen aufs engste miteinander verknüpft sind und dass jedes geodynamische Regime offenbar auch durch ganz bestimmte Lagerstättentypen ausgezeichnet wird. Diese Kenntnis liefert uns ganz neue Strategien für das Aufsuchen von Rohstoffen in Gebieten, die wir bisher für “steril” hielten (Abb. 8).

 

REVOLUTION IN DER ERFORSCHUNG DER KONTINENTE

Die intensive Erforschung der ozeanischen Erdkruste und die Erkenntnis, dass diese Kruste einem ständigen Kreislauf unterliegt und nur sehr kurzlebig ist, hat dazu geführt, dass sich die Geowissenschaftler in den letzten Jahren wieder verstärkt der kontinentalen Erdkruste zugewandt haben mit der kritischen Frage, ob denn die über Jahrzehnte entwickelten Vorstellungen über den Aufbau dieser Kruste und die Prozesse, die in ihr ablaufen, überhaupt noch richtig sind. Aus der Beschäftigung mit der ozeanischen Erdkruste ist nämlich deutlich geworden, dass sich Kontinente und Ozeane grundsätzlich voneinander unterscheiden.

Die kontinentale Erdkruste ist in der Regel viermal so dick wie die ozeanische Erdkruste und wird in manchen Gebieten über 70 km mächtig; sie hat eine andere Struktur und eine andere stoffliche Zusammensetzung; sie ist wesentlich älter als die ozeanische Kruste (bis über zwanzigmal so alt) und wird von ganz anderen mechanischen und chemischen Prozessen betroffen.

 

Kontinentale Platten in Bewegung

 Man kann sich die kontinentalen Lithosphärenplatten am besten vorstellen wie große Schollen, die auf einer mobilen Erde treiben. Sie sind bereits in der Frühgeschichte unserer Erde über Schmelzvorgänge aus dem Erdmantel gebildet worden, treiben seitdem über die Erdoberfläche, sind dabei immer wieder zerbrochen, auseinandergedriftet und wieder zusammengeschoben worden, während die jeweilige ozeanische Kruste als Transmissionsglied dieser Bewegung schon längst wieder im Erdinnern verschwunden ist.

 Es zeichnet sich ab, dass alle unsere bisherigen Konzepte und Vorstellungen über den Bauplan der kontinentalen Kruste sowie ihre geodynamische und chemische Evolution modifiziert und in vielen Punkten sogar revidiert werden müssen. Das Lehrgebäude, das über Jahrzehnte aufgebaut wurde, trägt nicht mehr, und es sieht so aus, als ob es von Grund auf erneuert werden müsste. Wir stehen damit an einem Punkt, der bezüglich der ozeanischen Erdkruste bereits Mitte der 60er Jahre erreicht wurde. Damals führten neue Ideen und Befunde zur Formulierung des Tiefseebohrprojekts.



Abb. 9: Bohrturm der KTB-Hauptbohrung mit 9101 m Endtiefe. 

 

Neue Erkenntnisse durch Tiefbohrprogramme

 Es hat sich deshalb weltweit die Erkenntnis durchgesetzt, dass auch die Kontinente völlig neu erforscht werden müssen und dass dazu ein Vordringen in die dritte Dimension, in die Tiefe, unerlässlich ist. Die Bundesrepublik Deutschland hat, nicht zuletzt auch wegen ihrer langen Tradition in der kontinentalen Geologie, bei dieser “Raumfahrt ins Innere der Kontinente” gegenwärtig “die Nase vorn”.

 Im September 1987 wurde in der Oberpfalz bei Windischeschenbach mit einer 4000 m tiefen Pilotbohrung  das Kontinentale Tiefbohrprogramm  der Bundesrepublik Deutschland (KTB) begonnen, die Hauptbohrung mit einer Endtiefe von 9101 m wurde im November 1995 abgeschlossen (Abb. 9).

Ziel dieses Projektes war die Untersuchung der physikalischen und chemischen Prozesse, die in der kontinentalen Kruste ablaufen und Entwicklung sowie Aufbau einer typischen kontinentalen Kruste bestimmen. Dabei konnten herausragende Ergebnisse gewonnen werden. Eine große Überraschung war, dass bis in eine Tiefe von über 9 km frei bewegliche Fluide gefunden wurden, die zudem in einer direkten hydraulischen Verbindung mit der Oberfläche stehen. Damit war die bis dahin gültige Vorstellung einer durch den hohen Gesteinsdruck völlig abgedichteten tieferen Kruste passé. Dieser Befund hat erhebliche Auswirkungen auf die Vorstellungen über die Bildung von Lagerstätten oder den Transport von Wärmeenergie in der Kruste. Die Messung der bis in diese Tiefe in den Gesteinen akkumulierten Spannungskräfte ergab, dass die Belastungen bis knapp unter die Bruchfestigkeit reichen. Dies bedeutet, dass Spannungskräfte, die an einer Stelle einer Kontinentalplatte ansetzen (hier bei der Kollision Afrikas mit Europa), durch die gesamte Kruste wie durch einen Spannungsleiter wirken.

 

Von KTB zu ICDP

Durch den großen Erfolg des KTB wurde 1996 ein Internationales Kontinentales Bohrprogramm (International Continental Scientific Drilling Program, ICDP) initiiert, bei dem Deutschland durch sein Know-how eine führende Rolle hat. Die Idee hinter ICDP ist, an den Stellen auf dem Festland zu bohren, wo sich bestimmte geowissenschaftliche Fragestellungen am besten untersuchen lassen. Die Spannbreite der Themen geht von Klimaforschung über die Untersuchung der Wirkung von Asteroideneinschlägen, Erdbeben- und Vulkanforschung, Lagerstättenbildung bis hin zur Erforschung des Lebens tief in der Erdkruste (Deep Biosphere). 

 Mit finanzieller Unterstützung des ICDP wurde 1998 eine Bohrung im Baikalsee in Sibirien niedergebracht. Sie ergab einen 600 m langen Sedimentbohrkern, der die klimatische Entwicklung dieses großen Kontinentalbereichs über die letzten 15 Millionen Jahre dokumentiert. Ende 1999 wurde eine Bohrung in den größten Vulkan der Erde auf Hawaii in einer Tiefe von mehr als drei Kilometern abgeschlossen. Bei dieser Bohrung ging es darum, anhand der Bohrkerne die Entwicklung des Vulkans zu entziffern und die Hypothese des Materialrecyclings zu untersuchen.

 In Mexico  wurde im Frühjahr 2002 in den 65 Millionen Jahre alten Einschlagkrater von Chicxulub gebohrt. Dieser "Impact" wird für das Aussterben der Saurier verantwortlich gemacht; anhand der Bohrkerne soll die Entwicklung des Lebens nach dem Einschlag rekonstruiert werden. Eine Bohrung in der Dabie-Sulu Region in Ostchina (nahe der Stadt Qingdao) soll Einblick in die Entwicklungsgeschichte von sogenannten Ultrahochdruck-Gesteinen geben. Bei diesem Projekt geht es um den geodynamischen Prozess, der zur Entstehung dieser weltweit einmaligen Gesteine geführt hat.

Eine Bohrung in die berüchtigte San Andreas-Verwerfung zwischen Los Angeles und San Francisco soll das Geheimnis der Entstehung von Erdbeben entschlüsseln helfen. Durch Langzeitbeobachtungen direkt am Ort werden die Beben-Mechanismen studiert.

 


Abb. 10: Der Geoforschungssatellit CHAMP (Foto: Astrium).


Abb. 11: Auf Grund der Massenunterschiede im Erdinnern ist die massenabhängige Anziehungskraft nicht überall gleich. Im Bild sind die Unregelmäßigkeiten im Schwerefeld der Erde in 15.000facher Überhöhung dargestellt als Abweichungen vom Rotationsellipsoid. Erkennbar ist eine Absenkung des Meeresspiegels südlich von Indien. In diesem Bereich liegt der Meeresspiegel 110 m unter dem Rotationsellipsoid.

 


Abb. 12: Das Hauptmagnetfeld der Erde wird durch den Dynamoeffekt des flüssigen, rotierenden äußeren Erdkerns erzeugt. Es reicht weit in den Weltraum und bildet einen Schutzschirm vor der kosmischen Partikelstrahlung. Dargestellt sind: Dipolvektor, Linien des Dipolfeldes, Aurora (Nordlicht), sowie der heiße Erdkern.


 


Abb. 13: Prinzip der CHAMP-Okkultationsmessung (Temperatur/Feuchte): von CHAMP aus gesehen, geht immer gerade einer der 24 GPS-Satelliten hinter der Erde unter. Durch die Atmosphäre wird das Signal dieses Satelliten zu CHAMP hin gebrochen. Der Brechungsindex jedes Mediums hängt ab von seiner optischen Dichte. Die Dichte der Atmosphäre wiederum hängt ab von der Temperatur und dem Wasserdampfgehalt. Aus der Brechung des GPS-Signals lässt sich das vertikale atmosphärische Profil der Temperatur und der Feuchte bestimmen.

 

EIN NEUER BLICK AUF DAS SYSTEM ERDE

 Die Erde erweist sich als ein hochkomplexes, dynamisches  System mit intensiven Materie- und Energieumlagerungen, das nur im  Zusammenwirken aller Teilkomponenten (Geosphäre, Hydrosphäre, Atmosphäre, Biosphäre, Kryosphäre) verstanden werden kann. Die  Prozesse in und auf der Erde sind miteinander gekoppelt und bilden verzweigte Ursache-Wirkung-Ketten, die durch den Eingriff des Menschen in die natürlichen Gleichgewichte und Kreisläufe zusätzlich beeinflusst werden können. Der Vielfalt der Fragestellungen entspricht die Vielfalt an Methoden und Technologien, die zur Erforschung des Systems Erde eingesetzt werden.

Die rasante Entwicklung der Messtechnik und die inzwischen verfügbaren Computertechnologien haben den Geowissenschaften in den letzten Jahren völlig neue Möglichkeiten an die Hand gegeben, Prozesse in allen zeitlichen und räumlichen Skalenbereichen hochaufgelöst zu erfassen, zu quantifizieren und zu modellieren. Dieses geowissenschaftliche Instrumentarium reicht von speziellen Satelliten und raumgestützten Meßsystemen über die verschiedenen Verfahren der geophysikalischen Tiefensondierung und Forschungsbohrungen bis hin zu Laborexperimenten unter simulierten In-situ-Bedingungen sowie mathematischen Ansätzen zur Systemtheorie und Modellierung von Geoprozessen.

Der Geoforschungssatellit CHAMP (Abb. 10) ist ein gutes Beispiel für die vielfältige Aufgabenbearbeitung bei der "Mission Erde".

CHAMP (Challenging Minisatellite Payload) misst das Schwerefeld der Erde. Durch die inhomogene Massenverteilung im Erdkörper und auf seiner Oberfläche ist die Anziehungskraft der Erde nicht überall gleich. Als Folge ergibt sich eine Flugbahn der Satelliten, die Abweichungen von einer elliptischen Bahn aufweist. Durch präzise Vermessung der Satellitenbahn kann auf das Erdschwerefeld rückgeschlossen werden. Die Darstellung unseres Planeten als unregelmäßiger Geoid zeigt die Einbuchtungen und Erhebungen allerdings erst dann deutlich, wenn man sie um das 15000-fache überhöht darstellt (Abb. 11).

Eine weitere Aufgabe von CHAMP besteht im Monitoring des Erdmagnetfeldes (Abb. 12) und des Weltraumwetters. Die aus den Ozeanbohrungen stammende Erkenntnis, dass sich das Erdmagnetfeld in unregelmäßigen Abständen umpolt (zuletzt vor etwa 800.000 Jahren) gewinnt dramatische Aktualität dadurch, dass das heutige Magnetfeld sich stark abbaut: bei einer Fortsetzung des jetzigen Trends polt sich das Magnetfeld in etwa 2000 Jahren um. Schon heute beobachten wir über dem Südatlantik eine dramatische Abnahme des magnetischen Hauptfeldes.

Da das Magnetfeld der Erde einen Schutzschirm vor der kosmischen Strahlung und dem Sonnenwind bildet, kann während der Umpolung diese Strahlung nahezu  ungehindert bis zur Erdoberfläche durchdringen. Welche Effekte das auf das Leben, auf die Chemie der Atmosphäre, auf das System Erde überhaupt hat, wissen wir nicht.

Wir wissen allerdings, dass in Zeiten hoher solarer Aktivität dieser Schutzschild vom Sonnenwind nahe an die Erde herangedrückt wird. Hochfliegende Satelliten sind dann der kosmischen Strahkung und dem Sonnenwind schutzlos ausgeliefert. Dieses Weltraumwetter zu überwachen und, falls möglich, auch vorherzusagen, ist ebenfalls Aufgabe von CHAMP.

Mit einem innovativen Verfahren mithilfe des Satellitennavigationssystems GPS sondiert CHAMP zudem den Vertikalaufbau (Druck, Temperatur, Wasserdampfgehalt) der Atmosphäre weltweit (Abb. 13) und kann somit wetterrelevante Atmosphärendaten hoher Genauigkeit auch aus den Regionen über den Weltmeeren, Wüsten und Dschungeln liefern. Diese Messwerte sind wichtiger Rohstoff für die Wettervorhersage und für die Klimabeobachtung.

Eine noch weitaus präzisere Beobachtung der Verteilung der Masse in und auf unserem Planeten ermöglicht die auf CHAMP aufbauende Satellitenmission GRACE (Gravity Recovery and Climate Experiment), deren Ziel darin besteht, hochgenau Massenumlagerungen durch Meeresströmungen, Gletschern, Hangrutschungen usw. zu erfassen. Damit wird eine Bilanz des Eises an den Polen möglich sowie eine genauere Abschätzung des Wärmetransports in den Ozeanen. Diese Größen sind ein wesentlicher Faktor für eine Verbesserung der Klimamodelle.

 

ARBEITSPLATZ SYSTEM ERDE

Die modernen Geowissenschaften untersuchen ihren Forschungsgegenstand Erde mit einer Vielzahl von Methoden und Instrumenten. Kaum ein anderes Arbeitsgebiet umfasst ein derartig weitgestrecktes Spektrum an Raum und Zeit: von Milliarden von Jahren bis zu Nanosekunden, von galaktischen Entfernungen bis zur Molekülgröße reichen die Skalenbereiche, mit denen Geowissenschaftler zu tun haben. Die Arbeit im Labor ergänzt die Expeditionen in alle Welt, Satelliten blicken in das System Erde, Forschungsbohrungen erlauben den direkten Zugriff  auf die Gesteine der oberen Erdkruste: je mehr wir die komplexen Prozesse in und auf unserem Planeten verstehen, um so eher haben wir die Chance, mit vorsorgendem und nachhaltigem Handeln dafür zu sorgen, das auch die nachfolgenden Generationen eine Erde vorfinden, die ihnen annehmbare Lebensbedingungen sichert.

 

Prof. Dr. Dr.h.c. Rolf Emmermann ist Wissenschaftlicher Vorstand und Vorstandsvorsitzender des GeoForschungsZentrums Potsdam (GFZ)


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