Der
tägliche Wetterbericht erscheint uns heute ganz selbstverständlich und
lässt uns leicht vergessen, dass noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts,
zu Goethes Lebzeiten, an eine wissenschaftliche Wettervorhersage gar
nicht zu denken war. Man kannte nicht einmal die atmosphärischen Zustandsgrößen,
die eine solche Vorhersage ermöglichen. Lediglich die Empirie, das Wissen
der Bauern, Schäfer und Seefahrer stand zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund
gewinnt Luke HOWARDs (1772 -1864) Wolkenklassifikation ihr eigentliches
Gewicht. Dieser Londoner Pharmakologe und Apotheker hatte 1803 in seinem
Werk "On the Modification of Clouds" den Grundstein
zu einer Klassifikation der Wolken gelegt, wie sie in den wesentlichen
Grundzügen auch heute noch gilt.
Wer von Goethes meteorologischen Beobachtungen spricht, muss von Luke
Howard reden, denn seine Beobachtungen haben Goethes wissenschaftliche
Ansichten zur Meteorologie und seine dichterische Wiedergabe meteorologischer
Phänomene entscheidend geprägt.
Der Weg
zu Luke "Howards Ehrengedächtnis"
Ebenso einfach wie genial unterteilte Howard die Wolken in vier Grundformen,
die er den einzelnen Höhenstockwerken der Atmosphäre zuteilte. Einfach:
weil diese Grundtypen phänomenologisch erfasst wurden; genial: weil hinter
dieser Vertikaleinteilung das sichere Gefühl stand, dass diese Höhenstaffelung
physikalischen Gesetzmäßigkeiten folgt.
Howard nennt zunächst die Haupttypen: den Cirrus (Federwolke), den Cumulus
(Haufenwolke) und den Stratus (Schichtwolke). Zwischen diesen existieren
Mischformen: Cirro-Cumulus, Cirro-Stratus, Cumulo-Stratus und (später
hinzugefügt) der Cumulo-Cirro-Stratus, auch Nimbus genannt, eine Regenwolke
und eigener Typ. Es muß allerdings hier angemerkt werden, daß seine Klassifikation
weder die mittelhohen Altocumulus- (Schäfchen-)Wolken und Altostratus,
noch die Mischform Nimbostratus (die typische Dauerregenwolke) berücksichtigte.
Das schmälert Howards wissenschaftliches Verdienst allerdings um keinen
Deut.
Aus Howards Beobachtungen folgt, dass er seine Wolkentypen verschiedenen
Höhen zuordnete. Der vertikale Schichtaufbau der Atmosphäre war zu dieser
Zeit ebenfalls noch weitgehend unbekannt. Dass Druck und Temperatur mit
der Höhe abnehmen, wusste man aus Messungen beim Aufstieg auf Berge, aber
der thermodynamische Zusammenhang von Druck, Temperatur und Feuchte -
und damit die Entstehungsursachen für Wolken - wurde erst von den Wissenschaftlern
des 19. Jahrhunderts entdeckt.
Goethe hielt völlig zu Recht die Arbeit Howards für bahnbrechend. Er war
bekanntlich fest davon überzeugt, dass die Empirie der Schlüssel zum Verständnis
der Naturprozesse ist. Daraus erklärt sich seine Begeisterung für die
Arbeiten Howards, der erstmals eine empirisch begründete Systematik der
Wolken vorlegte. Konsequent widmete er ihm sein Gedicht "Howards
Ehrengedächtnis" (1821):
" Er aber, Howard, gibt mit reinem Sinn
Uns neuer Lehre herrlichsten Gewinn;
Was sich nicht halten, nicht erreichen läßt,
Er faßt es an, er hält zuerst es fest;
Bestimmt das Unbestimmte, schränkt es ein,
Benennt es treffend! - Sei die Ehre dein! - "
Howards
Systematik, physikalisch gesehen
Howards Stockwerkgliederung der Wolken fußt auf meteorologischen Gegebenheiten:
neben der Abnahme des Luftdrucks mit der Höhe ist die Atmosphäre typischerweise
durch ein vertikales Temperaturgefälle gekennzeichnet. Bis zur unteren
Stratosphäre (in unseren Breiten etwa in 10 bis 12 Kilometern Höhe) nimmt
die Temperatur mit der Höhe ab. Wolken bestehen aus kondensiertem Wasserdampf
in Form von Wolkentröpfchen, oder aus Wasser in kristallierter Form, Eis.
Auch existieren Wolken mit einem Eis/Wasser-Gemisch.
Zur Wolkenbildung kommt es, wenn eine bestimmte Temperatur (der Taupunkt)
unterschritten wird. Dann kondensiert der (unsichtbare) Wasserdampf an
den winzig kleinen Partikeln in der Luft, den Kondensationskernen - es
formt sich eine Wolke.
Howards Einteilung in Cirrus- (Feder-)wolken, Cumulus- (Haufen-)wolken
und Stratus- (Schicht-) wolken bezieht sich exakt darauf, dass bei Temperaturen
unter -35 °C eine Wolke komplett aus Eis, bei Temperaturen oberhalb
von -12 °C aus flüssigem Wasser besteht (aus wolkenphysikalischen Gründen
gefriert Wasser in der freien Atmosphäre nicht unmittelbar bei 0 °C).
Seine große Leistung besteht darin, dass er diese Einteilung ohne fundiertes
Wissen über die Vertikalstruktur der Atmosphäre vornahm.
Bei allen Fortschritten in der Wolkenphysik, bei aller Verfeinerung der
Klassifikation der Wolken, wie sie die Systematik der World Meteorological
Organization WMO vornimmt, gilt Howards rein empirische Betrachtung immer
noch. Auch heute kann die Vielfalt der Wolken nur beschreibend dargestellt
werden; immer wieder geschieht es, dass der Meteorologe vom Dienst bei
der Wahrnehmung seiner 3-stündlichen Beobachtungen Wolkengebilde entdeckt,
die sich nur schwierig in das enge Regelwerk der Wetterdienstroutine einpassen.
Goethe
als Meteorologe, Howard als Poet
Goethe lernte Howards Arbeiten 1815 kennen, als er - Leiter der Anstalten
für Kunst und Wissenschaft im Herzogtum Sachsen-Weimar - sich mit der
Gründung einer meteorologischen Station auf dem Ettersberg zu Weimar befasste.
Er trat 1822 mit Howard in Briefkontakt.
Vergleicht man nun Luke Howards naturwissenschaftliche Beschreibung der
einzelnen Hauptwolkentypen mit der dichterischen Beschreibung Goethes,
so stehen sich hier der empirisch exakte Naturforscher aus England und
der Poet aus Deutschland ebenbürtig gegenüber.
Beispiel
Stratus: diese Schichtwolke benennt Howard ebenso exakt wie kurz als
"a widely extended, continuous, horizontal sheet, increasing from
below."
Stratus (Cap de Rosiers, Kanada, 27.07.1991,
13:05 Uhr, Foto: F. Ossing)
Goethe bedichtet
die Stratuswolke mit viel Poesie:
" Wenn von dem stillen Wasserspiegel-Plan
ein Nebel hebt den flachen Teppich an,
Der Mond, dem Wallen des Erscheins vereint,
Als ein Gespenst Gespenster bildend scheint,
Dann sind wir alle, das gestehn wir nur,
Erquickt', erfreute Kinder, o Natur!"
Beispiel
Cumulus: Howard skizziert kurz und knapp diese Haufenwolke als "convex
or conical heaps, increasing upward from a horizontal base".
Wieder liegt in der knappen, aber genauen Definition die eigentliche Leistung.
Cumulus (Sonneberg/Harz, 15.06.1974, 11:00 Uhr,
Foto: F. Ossing)
Goethe setzt
dieser seine dichterische entgegen:
" ...Steht Wolke hoch, zum herrlichsten geballt,
Verkündet, festgebildet, Machtgewalt,
Und was ihr fürchtet und wohl auch erlebt,
Wie's oben drohet, so es unten bebt."
Beispiel
Cirrus: die Federwolke beschreibt Howard mit "parallel, flexuous,
or diverging fibres, extensible in any or in all directions",
eine Kurzdefinition, die auch heute noch den Standards der Welt-Meteorologie-Organisation
entspricht.
Cirrus (Coesfeld, 22.12.1974, 10:50 Uhr,
Foto: F. Ossing)
Goethe sieht
den Cirrus so:
" Ein Aufgehäuftes, flockig löst sich's auf,
Wie Schäflein trippelnd, leichtgekämmt zu Hauf,
So fließt zuletzt, was unten leicht entstand,
Dem Vater oben still in Schoß und Hand."
Und schließlich
Beispiel Nimbus: hier scheint Howards Definition nicht ganz sicher,
die Regenwolke kann ein Gewitter (Cumulonimbus), eine regnende Cumulus-Wolke
oder auch eine Schichtwolke mit Regen sein: "Nimbus. The rain
cloud. A cloud or system of clouds from which rain is falling. It is a
horizontal sheet, above which the cirrus spreads, while the cumulus enters
it laterally and from beneath."
"Nimbus": meint L. Howard den Nimbostratus
(Akkrum, NL, 19.08.1981, 16:05 Uhr, Foto: F. Ossing) ...
Goethe sieht
den Regen ebenfalls aus dem Nimbus fallen, bezieht sich aber eindeutig
auf ein Gewitter:
"Nun läßt auch niederwärts, durch Erdgewalt
Herabgezogen, was sich hoch geballt,
In Donnerwettern wütend sich ergehn,
Heerscharen gleich entrollen und verwehn!-"
...oder, wie Goethe, den Cumulonimbus
(Potsdam, 17.08.2000, 14:50 Uhr ,
Foto: F. Ossing)
?
Goethe gibt
übrigens in der Abfolge der Wolken in "Howards Ehrengedächtnis"
den atmosphärischen Kreislauf des Wassers wieder: "Wie Streife
steigt, sich ballt, zerflattert, fällt". Der atmosphärische Wasserdampf
kondensiert zu Wolkentröpfchen (hier: Stratus), in Cumuluswolken steigen
die Wolkentröpfchen bis in das Eisniveau und bilden Schneeflocken, aus
denen Regentropfen werden, die aus der Wolke fallen. Gerade bei Gewitterwolken
(Cumulonimbus) wird der obere Teil der Wolke häufig in Cirren umgewandelt
(der "Amboß" eines Gewitters). Dieser Wasserkreislauf
ist in Howards Schrift ebenfalls erwähnt.
Anzumerken ist weiterhin, daß Goethe Wolken und andere meteorologische
Phänomene nicht nur in diesem Gedicht, sondern in seinem Gesamtwerk beständig
wieder aufnimmt, erinnert sei hier nur an die Vision des Dr. Faustus,
der in Wolken, "formlos breit und aufgetürmt ... fernen Eisgebirgen
gleich", Helena zu sehen meint (Faust II).
"...fernen Eisgebirgen gleich", Schauerwolken,
oben vereist (Neustadt i.H., 27.08.78, 12:30 Uhr, Foto: F. Ossing)
Meteorologische
Unschärfen: wo ist das mittlere Stockwerk?
Bereits Schöne (1969, S. 29) wies darauf hin, dass Goethe die Howardsche
Nomenklatur wie einen Baukasten benutzt. Wo ihm die Systematik Howards
veränderungswürdig erscheint, entwickelt Goethe eigene Termini, in denen
sich sein Verständnis der Atmosphäre niederschlägt.
Das ist
insofern konsequent, als die Howardsche Wolkenklassifikation einige Unschärfen
enthält.
Nehmen wir
das obige Beispiel der Regenwolke "Nimbus". Wir haben gesehen, dass Regen
aus einem Gewitter, einem Cumulus oder aus einem Nimbostratus fallen kann.
Diese drei Wolken gehören unterschiedlichen atmosphärischen Höhenstufen
an: der Cumulus gehört zu den tiefen Wolken, Nimbostratus ist eine mittelhohe
Wolke und das Gewitter, der Cumulonimbus, erstreckt sich vertikal durch
alle drei Wolkenstockwerke. Bei Howard wird die Regenwolke entsprechend
auch "Nimbus or Cumulo-cirro-stratus" genannt. Der meteorologischen Unschärfe
entspricht hier die sprachliche.
Die moderne
Meteorologie unterscheidet aus wolkenphysikalischen Gründen zwischen tiefen,
mittelhohen und hohen Wolken: während - allgemein gesprochen - die tiefen
Wolken üblicherweise aus Wassertröpfchen bestehen, sind die hohen Wolken
Ansammlungen von Eiskristallen. Die mittelhohen Wolken setzen sich aus
einer Mischung von Eispartikeln und Wassertröpfchen zusammen.
Luke Howard
konnte diesen physikalischen Hintergrund noch nicht kennen, seine Pionierleistung
besteht ja gerade darin, dass er ohne dieses Wissen eine bis heute taugliche
Wolkenklassifikation erstellte. Allerdings ergibt sich bei Howard daraus
eine nur diffuse Abgrenzung der mittelhohen und hohen Bewölkung. Der mittelhohe
Altostratus findet sich als eigene Wolkengattung gar nicht und unter die
Kategorie "Cirro-cumulus" werden auch Altocumuli oder gar Stratocumuli
subsumiert.
Altocumulus-Himmel
(Bay du Vin, New Brunswick, Kanada, 30.07.91, 20:05 Uhr, Foto:
F. Ossing)
Diese Ungenauigkeit
spiegelt sich bei Goethe in der von ihm selbst beschrifteten Abbildung
von "Schaaf-Wolken" wider, die er als "Cirro-Cumulus" bezeichnet (Goethe-Nationalmuseum
Weimar, Inv.Nr. 1533). Dieses Bild stellt eindeutig mittelhohe Altocumuli
mit Schattierungen im Wolkenkörper und nicht Cirrocumuli dar, die eine
solche Schattierung nicht aufweisen.
Altocumulus-Wolken,
von Goethe fälschlich als "Cirro-Cumulus" bezeichnet (1817, Bleistift
und Aquarell auf Papier, Goethe-Nationalmuseum Weimar, Inv.Nr. 1533)
Was bleibt:
Als Staatsrat und Minister des Herzogtums Sachsen-Weimar hatte Goethe
die Kunst und Wissenschaft unter sich. Seine Theorien zum Wetter, insbesondere
sein "Versuch einer Witterungslehre" muten uns heute eigentümlich
an, weil er die wetterbestimmenden Hoch- und Tiefdruckgebiete damit erklärt,
daß der Erdkörper die Atmosphäre ein- und ausatme. Dem theoretisch irrenden
Goethe steht der Wetterpraktiker Goethe konträr gegenüber. Unter Goethes
Oberaufsicht wurde, beginnend mit der 1815 errichteten Weimarer Wetterstation,
ein Wetter-Beobachtungsnetzt aufgebaut, eines der ersten in Deutschland.
Die hier erfolgten Aufzeichnungen können als eine der Wurzeln wissenschaftlicher
Klimatologie und Meteorologie in Deutschland verstanden werden.
Schon lange bevor er die Schrift Howards kennenlernte, hatte Goethe sich
mit dem Wetter beschäftigt, Wolkenskizzen gezeichnet, auf Luftdruck und
Temperatur geachtet.
Dennoch geht mit der Rezeption von Howards Klassifikation eine Intensivierung
Goethes meteorologischer Vorstellungen einher. Es spricht für Goethes
Autoironie, dass er sich dabei im Selbstgespräch auf den Arm nimmt:
" Du Schüler Howards, wunderlich
Siehst morgens um und über dich,
Ob Nebel fallen, ob sie steigen,
Und was sich für Gewölke zeigen."
- genau so, wie wir morgens den Blick aus dem Fenster werfen, um
zu sehen, ob der Wetterbericht stimmt, "ob's heiter, ob's regnet",
bevor wir zur Haustür hinausgehen. Vielleicht sind wir heute in unseren
Breiten nicht mehr so wetterabhängig wie vor 250 Jahren, aber Wetter ist
nach wie vor das Stück Natur, das uns tagtäglich unmittelbar berührt.
Literatur:
Goethe, J.W., "Schriften zur Naturwissenschaft", Reclam,
Stuttgart 1977
Luke Howard, :"On the Modification of Clouds", Original
in: Philosophical Magazine XVI, London 1803, Nachdruck in : Hellmann,
G., Neudrucke von Schriften und Karten über Meteorologie und Erdmagnetismus,
No. 3, Berlin 1894
Andere AutorInnen:
Hamblyn, R., "Die Erfindung der Wolken - Wie ein unbekannter Meteorologe
die Sprache des Himmels erforschte", Frankfurt/M., Insel-Verlag, 2001
Schöne, A., "Über Goethes Wolkenlehre", in: Jahrbuch
der Akademie der Wissenschaften in Göttingen für das Jahr 1968. Göttingen:
Vandenhoeck u. Ruprecht 1969, S. 26-48
Schönwiese, C.-D., "'Ein Angehäuftes, flockig löst sich's auf'
- Goethe und die Beobachtung der Wolken", in: Forschung Frankfurt.
Wissenschaftsmagazin der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt
a.M., Nr. 2/1999, S. 12-18
Verschiedene Beiträge in:
Wehry, W. / Ossing, F., "Wolken - Malerei - Klima in Geschichte
und Gegenwart", Eigenverlag der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft,
Berlin, 1997, 192 S.
Zur Wolkenklassifikation
mit Text und Bild:
WMO (World Meteorological Organization), "International Cloud
Atlas", Vol. II, Genf, 1987
ein anklickbarer
Wolkenkatalog mit über 50 Fotos und ausführlicher Beschreibung findet
sich hier:
Neumann, N./ Ossing, F./ Zick, C.: "Wolken-Ge-Bilde", CD-ROM, Deutsche
Meteorologische Gesellschaft 1997, Berlin
Umfangreiche
Information zu Goethe findet sich unter:
www.goethezeitportal.de/
Weitere
Arbeiten zum Zusammenhang von Kunst und Geowissenschaften finden sich
unter 'Wege
zur Kunst' am GFZ.
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